Wohlfühlen mit Farbe
26. März 2020Morgen, ja morgen…
6. Mai 2020
Inez Ardelt im Interview mit Primaria MR. Dr. Margot Peters / Foto: Dr. Margot Peters
„Die Bewältigung der Krise ist altersabhängig“
Haben Isolation und Quarantänemaßnahmen Folgen? Was machen die verordneten Abstandregelungen und Social Distancing mit uns? Im Interview mit Sixzero erklärt Primaria MR. Dr. Margot Peters PLL.M. (Ärztliche Leiterin, Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin im Zentrum für psychosoziale Gesundheit in Bad Hall) warum wir unterschiedlich auf das Alleinsein reagieren und gibt Tipps, wie die Krise sogar sinnvoll genutzt werden kann.
sixzero:
Wir alle verstehen, die Maßnahmen, die gegen Corona getroffen werden mussten. Auch wenn manchmal das Verständnis fehlte. Stichwort Social Distancing. Was macht diese Isolation, die bereits seit Wochen praktiziert werden musste, mit uns?
Dr. Peters:
Da gibt’s keine allgemeingültige Antwort. Ich denke, die Bewältigung der gegenwärtigen Krise ist durchaus altersabhängig unterschiedlich zu sehen. Wenn jemand schon eine gewisse Lebenserfahrung hat, dann hat er wahrscheinlich auch schon einmal eine Krise erlebt. Hat schon einmal erlebt, dass er sich nicht so bewegen kann. Etwa nach einem Unfall mit einem gebrochenen Bein, wo man auch nicht so kann wie man möchte. Und hat da schon einmal erlebt: ich kann Krisen bewältigen. Da gibt es durch die Lebenserfahrung durchaus eine Bewältigungsstrategie, die schon einmal funktioniert hat und auf die man jetzt zurückgreifen kann. Schwieriger ist es für kleinere Kinder, die so etwas noch nie erlebt haben und plötzlich nicht zur Lieblingstante dürfen. Daher macht diese soziale Distanz je nach Lebensabschnitt etwas anderes mit den Menschen. Jugendliche, die gewöhnt sind sehr viel miteinander zu unternehmen und sei es nur, abzuhängen, können auf solche Erfahrungen nicht zurückgreifen und tun sich ebenfalls schwer. Erfahrenere Leute sagen, ok ist jetzt so, da komme ich durch.
sixzero:
Verändert die Quarantäne die Menschen tatsächlich?
Dr. Peters:
Je nach Umfeld und Struktur, wie die Kinder und Jugendlichen eingebettet sind, kann das eine sehr positive Erfahrung sein. Es kann aber auch durchaus sein, dass sie mit der Isolierung ganz schlecht umgehen können. Das muss man sich erst im Nachhinein anschauen, was wirklich das Endergebnis ist. Das lässt sich jetzt noch gar nicht so sagen. Wir kennen das nur aus anderen Zusammenhängen, wenn eine traumatische Erfahrung gemacht wird: manche wachsen daran und manche eben nicht.
sixzero:
Wie bei einer Posttraumatischen Stressbelastung?
Dr. Peters:
Wenn man so will, ja.
sixzero:
1,7 Mio. Menschen leben allein. Sind diese besonders gefährdet, eine Depression zu entwickeln?
Dr. Peters:
Das kommt auch wieder darauf an, ob sie das Alleineleben von sich aus gewählt haben und das ihr Lebensstil ist. Oder ob sie alleine leben müssen, weil der Partner verstorben ist oder sie verlassen wurden. Diese Menschen sind natürlich mehr gefährdet.
Bitte mich jetzt nicht falsch zu verstehen, aber ich bin froh, dass das jetzt passiert und nicht schon vor 50 Jahren. Nahezu jeder hat heute ein Handy oder zumindest ein Telefon, bzw. Internet und dergleichen mehr. Wir haben jetzt Möglichkeiten, die wir vor 50 Jahren nicht gehabt haben. Da hat es noch nicht in jedem Haushalt ein Telefon gegeben. Wir haben rund um die Uhr Fernsehen und somit die Möglichkeit, dass sehr viel an Nachrichten und Information nachhause transportiert wird. Ich wünsche mir das Corona-Virus nicht, aber wenn es schon sein muss, dann besser jetzt als vor 50 Jahren.
sixzero:
Hat der Lockdown neben der Steigerung psychischer Probleme auch das Potenzial ohnehin vorhandene Volkskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes oder Rückenschmerzen zu verstärken? Das „Eingesperrtsein“ in den eigenen vier Wänden verleitet ja zum Frustessen und „aussitzen“.
Dr. Peters:
Es kommt wahrscheinlich zu einer Verstärkung der eigenen Neigungen. Die, die sich gerne bewegt haben, laufen jetzt auch um ihr Leben. Und die, die sich noch nie gerne bewegt haben, werden sich jetzt noch weniger bewegen.
Und dazu kommt auch noch, wenn wir über Übergewicht sprechen, dass dann die Auseinandersetzung mit den anderen fehlt. Weil, wenn ich nur mit mir bin, ist relativ viel egal. Aber wenn ich ständig konfrontiert bin und beim Einkaufen merke, hoppala mir passt keine Kleidung mehr, dann ist man viel eher darauf hingewiesen, dass da etwas aus dem Ruder läuft. Dieses Regulativ hat man jetzt nicht. Das kann schon dazu beitragen, dass Dinge mehr werden. Und auch da sind wir wieder in der Situation, keiner muss hungern. Wir bekommen die Lebensmittel nach Hause geliefert. Das soziale Korrektiv fehlt und ich kann immer und jederzeit essen. Das ist verlockender. Eine Hypothese ist auch, wenn ich in die Kantine essen gehe, dann kriege ich das, was es gibt. Zuhause hole ich mir das, was mir am besten schmeckt. Und davon natürlich dann mehr.
sixzero:
Gemein, dass man so eingesperrt ist mit sich selbst und seinem inneren Schweinehund.
Dr. Peters:
Ja genau. Eigentlich ist man nicht allein. Der innere Schweinehund begleitet einen ständig. Und da gibt es wohl ein paar innere Schweinehunde, die legen momentan ganz gewaltig zu.
sixzero:
Wir haben es vorhin schon gestreift. Neben dem Essen stehen uns auch Medien in Hülle und Fülle zur Verfügung. Wie schaut’s da auch aus mit zunehmenden Medienkonsum und auch Substanzkonsum aus?
Dr. Peters:
Das hört man allgemein, ich könnte mir vorstellen dass Alkohol- und Nikotinkonsum zunehmen. Was die Medien betrifft, so denke ich, wenn man mit ihnen kritisch umgeht, dann machen sie ja Sinn. Wenn ich aber mich von einem ins nächste stürze und vieles unkritisch über mich ergehen lasse, dann macht das nicht sehr viel Sinn. Natürlich gibt es viele Fake-News und wo man auch sehr vorsichtig sein muss, sind diese Verschwörungstheorien. Das macht nur Angst, verunsichert und hilft niemandem. Da sollte man verantwortungsvoll damit umgehen und überlegen, was man weiterschickt. Jetzt könnte man die Zeit nutzen, Dinge kritisch zu hinterfragen und uns zu manchen Dingen eigene Gedanken zu machen.
sixzero:
Und ein Eskapismus von der Realität – es wird so viel gestreamt wie nie zuvor. Könnte das ein Problem sein?
Dr. Peters:
Das ist ein momentanes Phänomen, weil jeder Mensch sehr viel Zeit hat. Wenn das Freizeitangebot zurückkehrt, dann werden die Streamingsienste wieder dorthin gehen, wo sie hingehören. Das wird nicht so weiterlaufen. Jetzt, wo man in den eigenen vier Wänden mehr oder weniger gefangen ist, ist das klar, dass ich mich mit dem beschäftige, was ich habe, und das ist oft der Fernseher.
Es ist auch klar, wenn ich ständig mit ernsten Nachrichten gefüttert werde, möchte ich dann eher einen Blödsinn zum Hirnauslüften anschauen.
sixzero:
Gibt es Tipps und Möglichkeiten, wie sich in dieser quarantäne-ähnlichen Situation das Wohlbefinden erhöhen und die negativen Effekte abschwächen lassen?
Dr. Peters:
Eine große Chance könnte sein zu sagen zu fragen: Was will ich eigentlich? Was will ich mit meinem Leben noch anfangen? Für viele könnte es die Gelegenheit sein, sich zu fragen, wie gestalte ich meine Pension? Da gehe ich ja dann auch nicht mehr täglich in die Arbeit. Bin mehr zuhause, habe auch weniger Geld zum täglichen Leben zur Verfügung. Man könnte das auch nutzen und sagen, wie stelle ich mir den Rest des Lebens vor. Oder auch: was brauche ich wirklich? Ich kenne jede Menge Menschen, da sind die Kleiderkästen derartig voll, die würden ja nie wieder neues Gewand brauchen. Vielleicht ist weniger mehr. Vielleicht kann man sich jetzt überlegen, welche Dinge man kauft. Zu schauen, wo wird das produziert. Wo kommt das her? Ein wesentlicher Faktor in dieser Krise ist zu erleben, dass wir von Asien abhängig sind, weil wir bestimmte Dinge nicht mehr produzieren, weil es dort billiger ist. Das ist wirklich eine erschreckende Erkenntnis. Ich hoffe, dass man daraus lernt und sieht, dass man eine bestimmte Basisversorgung in Europa braucht.